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Montag, 6. Dezember 2010

Zu Tisch mit Mappus und Merkel

Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 06.12.2010
Kabarett "Hab"s nicht verstanden, was hab ich g"sagt?" Mathias Richling stellt im Stuttgarter Beethoven-Saal sein neues Programm vor. Von Rupert Koppold

Ach, komm jetzt! Diese Riesenbühne kann der Richling doch nicht solo bes pielen, der hat sicher Kollegen mitgebracht, da oben wartet ja auch schon ein langer, langer, schwarz-rot-golden gedeckter Tisch mit zwanzig Namenskärtchen drauf, und jetzt - wo sind denn bloß die andern? - trippeltrappelt dieser hippelige Kerl doch tatsächlich allein herein, wieselt die Rampe entlang, als habe man ihm wieder mal das Ritalin abgesetzt, wünscht einen "Schönen Abend", nimmt selbigen, weil ihm gerade "ein Jahr Schwarz-Gelb" eingefallen ist, sofort wieder zurück, hat nach fünf Minuten im kabarettistischen Schleudergang dann schon Wikileaks, Sarrazin und Kachelmann erledigt, und kurz darauf ist es auch mit S 21 vorbei: "Der Bahnhof soll oben wachsen dürfen - Stuttgart gehört unter die Erde!"

So viele Jahre gibt es diesen zappeligen Mathias Richling schon - man hat sich fast zu sehr an ihn gewöhnt, erwartet nur noch das Bewährte. Bei der Stuttgart-Premiere seines neuen Programms "Der Richling Code" im Beethoven-Saal aber erleben die gut tausend Zuschauer einen bemerkenswert frischen Kabarettisten, der zwar noch eine Reminiszenz an Helmut Kohl einstreut - er hat ihn halt gar zu gut drauf! -, ansonsten aber das aktuelle deutsche Politpersonal in jedem Sinne vorführt. Dem Mappus, dem Steinmeier oder der Schavan - er dreht immer das jeweilige Namensschildchen zum Publikum um - nähert er sich mimisch und gestisch bloß ungefähr an, schiebt ihnen dafür aber mäandernde Sätze unter, bis sie bösen Sinn ergeben.

Die Herren Pofalla und Lauterbach ("Ich kenne mich mit Gesundheit aus, ich war selber schon mal gesund!") dagegen näselt Richling schon recht stimmig, und in den Altraucher und -kanzler Helmut Schmidt, der die Demokratie von oben herab als Potemkin"sches Dorf begreift ("Ich habe lange mit mir darüber gesprochen!"), verwandelt er sich samt hanseatischem S und zischendem Raucheinziehen geradezu brillant.

Hinter dem Tisch klappt Richling nebenbei das in zwei Teile zerlegte Abendmahl von Da Vinci hoch, dazwischen steht, sozusagen jesusmäßig, ein Kleiderständer mit rotem Merkel-Jackett. Dem steckt er von hinten die Arme durch und lobt im Kanzlerinnen-Tonfall: "Ich habe die Krise sicher durch das Land geführt!" Immer wieder Verdrehungen und absurde Logeleien, vorgetragen in oft wahnwitzigem Tempo und dabei trotzdem, weil diese Sprachakrobatik keine Schluderei verträgt, sehr präzise. Eine rasende Achterbahnfahrt durch Richlings Hirnwindungen ist hier zu erleben, man saust vorbei an Oettinger ("Hab"s nicht verstanden, was hab ich g"sagt?"), Gysi, ("Ich werde Ihnen verbieten lassen, meinen Namen mit mir in Verbindung zu bringen!"), Westerwelle ("Das Volk sollte mir dienen!"), und das geht so schnell, dass man manchmal nicht mehr weiß, ob Richling nun als Richling oder beispielsweise als Josef Ackermann spricht: "Wenn morgen die Welt unterginge, würden wir heute noch eine Bank retten!"

Wobei aber auch Richling als Richling mindestens doppelt existiert: in seiner hochdeutschen Stakkato-Variante, in welcher der 57-Jährige mit der runden Brille wie der junge Harry Potter auf Speed wirkt; und im grauen Hausmeisterkittel, in dem er den knitzen Schwaben hinknattert. Dann aber gleich wieder Richling als Schäuble, schmallippig, zynisch. Oder auch als Bischof zum Thema Missbrauch: "Wir dürfen schon von Amts wegen gar nicht verstehen, was uns vorgeworfen wird!"

Das Programm läuft inzwischen fast zwei Stunden, Richling macht keine Pause, fast scheint es, als müsse er zwischen den Sätzen nicht mal Luft holen. Noch immer agiert er flink, quecksilbrig, aufgedreht. Zwischendrin sucht er auch mal den billigeren Lacher, wenn er etwa rausfindet, dass "Politiker mit dem Menschen verwandt" sind. Aber dann fängt er sich sofort wieder und beginnt einen Satz zum Beispiel so: "Zu Lebzeiten der SPD . . ." Solch feine Formulierungen sind natürlich Applaus wert.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Die PRESSE schreibt

Es geht los. Eins-zwei-drei, Wiki-Leaks-Westerwelle, Wiki-Leaks-Merkel, Sarrazin, Kachelmann, Mappus (Parodie). Und-hoch-das-Bein, Stuttgart 21, Volksbegehren, Google-Street-View, Kinderpornoseiten, Pofalla, Lauterbach (jeweils Parodie). Hacke-Spitze, Helmut Schmidt (P), RAF, Demokratie, Diktatur, Steinmeier (P), Klaus Ernst (P), Gysi (P). Van-Damme-Spagat, Joachim Bublath (P), Evolution, 68er-Schlaglichter, Kapitalismus, Finanzkrise, Schäuble (P), von der Leyen (P).
Pausen- wie atemlos handelt Richling die Themen ab, hüpft dabei über die Bühne, von Station zu Station, um mal dem einen und mal dem anderen Publikumsflügel näher zu sein, wenn er ein Namensschildchen umdreht (nettes Gimmick) und den jeweiligen Politiker karikiert. Allein Mutti Merkel darf dabei mehrere Soli bestreiten, stets von einer Glocke eingeläutet.

Hechelnde Wortspiele, Haspeleien, beabsichtigt dummdreiste Versprecher wechseln munter mit wirren, verdrehten, aber in sich logischen und durchaus intelligenten Argumentationsspiralen, die bekanntlich zu Mathias Richlings Markenkern gehören. Der Bahnhof muss in die Tiefe, weil er ein Denkmal ist, das spätere Generationen vielleicht ausbuddeln wollen. Die DDR hat nie ein Menschenrecht missachtet, weil sie keine hatte, Westdeutschland wurde nach dem Krieg demokatisiert, weil höchstens ein Viertel der obrigkeitsgewöhnten Deutschen noch eine Diktatur wert war, für mehr hats nicht gereicht. Wenn Reiche auf einen neuen Satz Porschereifen verzichten, sparen sie weit mehr als Harzer beim Elterngeld, überhaupt sind die Armen des Landes insgesamt weitaus reicher, es verteilt sich nur auf mehr Köpfe.

Die Polit-Karikaturen, allesamt ohne große Verkleidung gespielt, pusten regelmäßig eine Hubba-Bubba-Sprechblase auf, in welchem jede Menge rhetorische Versatzstücke bekannter Politstatements tanzen, alsbald folgerichtig zu Absurditäten verklumpen und das Ganze schließlich so zum Platzen bringen, dass die zerkauten Worte im Gesicht kleben bleiben. Das ist die große Kunst der Entlarvung des herkömmlichen Politjargons, die niemand so beherrscht wie Richling, und die dem Zuschauer/-hörer mehr abverlangt als ein paar kurze Lacher.
Joachim Off GIG-BLOG.NET

Viel Applaus in Stuttgart für den «Richling Code
Von Roland Böhm, dpa
Hibbelig, sarkastisch, wortwitzig - Mathias Richling («Satire Gipfel») genießt am Wochenende sein Solo-Heimspiel in der Stuttgarter Liederhalle. Mehr als tausend Zuschauer haben ihren Spaß mit dem «Richling Code», dem neuen Programm des schwäbischen Kabarettisten.
Langer Applaus ist am Ende der Lohn für eine rund zweistündige Show des Politik-Deuters. Richling bleibt Richling - stets politisch, selten korrekt. Manch Lacher bleibt im Halse stecken.

Der Menschen-Beobachter und Parodist schlüpft mühelos von einer Rolle in die nächste. Letztlich sind es mehr als 20 Personen, die am schwarz-rot-gold gedeckten bundesdeutschen Abendmahl-Tisch Platz nehmen (Regie und Bühne: Günter Verdin). Und über allem schwebt Bundeskanzlerin Angela Merkel («Ich habe die Krise sicher durchs Land geführt»), hinter deren rotem Blazer Richling ein ums andere Mal schlüpft, um die Talkrunde um Gentechnik, Umwelt-Desaster und Bankenkrise zu dirigieren.

Ihr Vor-Vor-Vorgänger im Amt, Helmut Schmidt, muss natürlich am Rauchereck sitzen. Mit genial-wirren Gedankensprüngen wettert Richling in einer seiner Paraderollen gegen Nichtraucher. «Ich will damit nichts ändern. Ich will damit nur etwas gesagt haben.»

Gerne hätten auch Edmund Stoiber und Horst Köhler am Tisch sitzen dürfen, doch Richling ließ beide daheim und verließ sich unter anderem auf SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach («Ich kenne mich aus mit Gesundheit. Ich war selber schon mal gesund.») und Kanzleramtschef Ronald Pofalla samt seiner «Fähigkeiten zur Farblosigkeit».

Besonders gut kommt im Südwesten natürlich Richlings Variante von Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus an («Natürlich nehme ich die Proteste gegen Stuttgart 21 ernst, ich weiß nur nicht, was ich damit anfangen soll»). Zum Streit um den geplanten Tiefbahnhof Stuttgart 21 hielt sich Richling merklich zurück. Der Bahnhof solle oben ruhig weiter wachsen dürfen - Stuttgart hingegen gehöre unter die Erde.

Eigentlich hat Richling, der zur ersten Garde des politischen Kabaretts in Deutschland zählt, sein neues Programm schon bei Dieter Hallervordens Berliner Wühlmäusen gespielt. «Da habe ich die Möglichkeit, noch einiges auszuprobieren.» Doch jetzt - mit zwei Auftritten in der Heimat - gehe die Tour richtig los. Obwohl er den «Scheibenwischer»-Nachfolger «Satire Gifel» der ARD demnächst an Dieter Nuhr abgibt, bleibt er den TV-Zuschauern mit dem «Studio Richling» im SWR Fernsehen erhalten. Und natürlich hat er jetzt eine ganz lange